, Badische Zeitung

Zweimal Matthäuspassion in Freiburg

„Zwei bis hin zum Instrumentarium den Prinzipien der historisch informierten Aufführungspraxis verpflichtete Deutungen der Matthäus-Passion, die zwischen Emphase und Verinnerlichung alles berührten … In der Martinskirche dirigierte Gärtner seinen reaktionsschnellen, gut trainierten Chor … souverän.

Das Freiburger Barockorchester und der Freiburger Oratorienchor haben in der Stadt kurz hintereinander jeweils Bachs Meisterwerk zur Aufführung gebracht … Das Publikumsinteresse in der Musikstadt Freiburg … erwies sich als stark genug, die beiden – vom interpretatorischen Ansatz her erwartungsgemäß eher gegensätzlichen – Aufführungen zu füllen … Beim Oratorienchor, …, gab es die für die doppelchörige Matthäus-Passion üblichen fünf Vokalsolisten … Beide Male waren hervorragende Evangelisten zur Stelle. … beim Oratorienchor der (überdies für die Arien zuständige) Tenor Philipp Nicklaus auch emotional gleichsam mitging. Würdig, doch nie salbungsvoll … Christus-Darsteller … Matthias Horn in … Baritonlyrik. Übereinstimmungen zeigten sich in Sachen Dramatik. Beispiel: der Turba-Chor „Sind Blitze, sind Donner" … Ein Gipfel der Innigkeit wurde jeweils bei der Sopran-Arie „Aus Liebe will mein Heiland sterben“ erreicht. Wunderbare Holzbläser-Wärme. Dazu Mystik und Kontemplation … Die Choräle wurden an beiden Abenden weder geschäftsmäßig abgehandelt noch überbetont. Leise, langsam und bescheiden klang es, wo der Christenmensch sich selbst einzubringen wagt: „Wenn ich einmal soll scheiden". Die zentrale Botschaft des Christentums hat man kaum je so leuchtend gehört. Zwei bis hin zum Instrumentarium den Prinzipien der historisch informierten Aufführungspraxis verpflichtete Deutungen der Matthäus-Passion, die zwischen Emphase und Verinnerlichung alles berührten … In der Martinskirche dirigierte Gärtner seinen reaktionsschnellen, gut trainierten Chor … souverän. Das Orchester L'arpa festante bewährte sich erneut. Man erlebte zwei reflektierte Annäherungen an Barockgroßmeister Bach … Beide Male waren Boris Böhmanns Freiburger Domsingknaben mit den Cantus-Firmus-Pflichten befasst: Derart leuchtend wie jetzt in der Martinskirche hat man die Choralmelodie „O Mensch, bewein dein Sünde groß“ kaum je vernommen. Der gewichtige c-Moll-Schlusschor des Werks wirkte bei Gärtner so plastisch, voluminös und sinfonisch, wie der Romantiker Charles-Marie Widor ihn 1925 in „Bach's Memento“ solistisch auf die Orgel übertragen hat.