Singen – nicht nur mit der Stimme

 

„Singen ist die Muttersprache aller Menschen“, sagte einmal der Geiger (!) Yehudi Menuhin und verlangte von seinen Schülern, die Geigenstimme innerlich zu singen, um damit die Geige „singen“ zu lassen.

Klang und im weitesten Sinne Gesang ist die ursprünglichste Äußerung des Menschen. Sie ist seine einfachste und zugleich tiefste musikalische Betätigung. Das Wort „Person“ kommt aus dem lateinischen „per-sonare“ (durch-klingen). So ist die Stimme ein Spiegel unser selbst und zeigt uns, was wir gerade empfinden, wie wir sind: ruhig, liebevoll, ängstlich, aufgeregt, aggressiv, müde, heiter, ausgelassen und so weiter.

Singen kann helfen, Ängste, Aggressionen, Freude, Lust und Ausgelassenheit „heraus“ zu lassen, Liebe, Mitleid und Ruhe noch tiefer zu empfinden sowie Trauer und Schmerz zu verarbeiten. Dies gelingt umso eher, je besser wir verstehen, was beim Singen in unserem Körper geschieht und je mehr wir in der Lage sind, unseren Atem und damit den ganzen Körper in den Dienst unseres Singens zu stellen.

 

 

Lehre deine Seele singen.
Jede Seinslage hat ihre Lieder.
Mag das Singen dich bei allem,
was du tust, begleiten.
Habe dieses Singen lieb und hüte es.

Arvo Pärt

 

Doch nicht nur eine fundierte Gesangstechnik ist für ein schönes Singen von Bedeutung. Ebenso wichtig, wenn nicht noch wichtiger ist für mich die Tatsache, dass Singen viel mit „Loslassen“oder einfach „Lassen“ zu tun hat. Wie im normalen Leben scheint dies aber auch hier sehr schwer zu sein. Und dennoch wird der Gesang, je direkter er aus der Seele strömt, authentisch, somit ehrlich und schön empfunden.

In der Stimmbildung vor der Chorprobe geht es zunächst um Technik. Dennoch versuche ich, die Sänger*innen zu motivieren, auch bei den scheinbar banalsten Stimmübungen mittels der Stimme die Seele zum Klingen zu bringen. Für die Chorarbeit danach ist dies von absolut zentraler Bedeutung.

 

Bernhard Gärtner